Halsband oder Hundegeschirr
Die potentiellen Käufer von Hundegeschirren stellen mir häufig die Frage
– Wird der Hund beim Ausführen nicht mehr so ziehen, wenn er ein Geschirr trägt?
Nun, mich überrascht bis heute die mangelhafte Informiertheit der Fragesteller. Denn wer hätte nicht schon Schlittenhunde gewaltige Lasten ziehen sehen. Wenn nicht anderswo, dann tauchte in den Goldgräberromanen unserer Kindheit diese historische Ausrüstung auf, die zu Recht der „König” der Hundegeschirre genannt werden kann, das Schlittenzuggeschirr ist die Wiege der professionellen Hundeausrüstungen.
Der Mensch ist bei seiner täglichen Arbeit fast nirgendwo anders derart auf seinen Hund und die Qualität der Ausrüstung angewiesen wie im Reich des ewigen Eises. Denn die Hundegeschirre wurden seinerzeit natürlich zum Ziehen von Lasten erfunden und auch die Aussage, dass die ersten Stücke nach dem Muster der Geschirre von Schlitten oder Kutschen ziehenden Pferden angefertigt wurden, wäre voreilig. Ein großer Teil der Zugtiergeschirre wurde lange Zeit am Hals der Tiere befestigt, diese Lösung würde jedoch bei Hunden das Gewicht der zu ziehenden Last stark einschränken. Was gab es demnach zuerst? Die für die Zugtiere, für die Hunde oder für die die im Altertum bei den gewaltigen Pyramidenbauten arbeitenden Menschen angefertigten Zuggeschirre? Es wäre schwierig, das mit Sicherheit festzustellen. Sicher ist jedoch, dass die Hunde heute fast ausschließlich beim Sport und zum Vergnügen vor Wagen und Schlitten gespannt werden. Die dabei üblichen Ausrüstungen wurden speziell zu diesem Zweck entwickelt, so dass sie in breiten Kreisen von Hundehaltern nicht wirklich genutzt werden.
Ein Hundegeschirr verwendet der Hundehalter beispielsweise deshalb, um beim Ausführen an der Leine den Hals des Hunden vor Druck und dem Abscheuern des Fells zu schützen. Die begabteren Hunde sind sogar imstande, nach ein, zwei Rucken und dem Druck des Halsbands die Szene des „sterbenden Schwans” zu spielen, deshalb verwundert es nicht, dass viele Hundehalter sich nach einer Alternative umsehen.
Auch die Ästhetik ist ein nicht zu vernachlässigender Gesichtspunkt bei der Auswahl der Ausrüstung. Die Geschirre und die Bekleidung für Hunde bieten mit ihrer breiten Farb- und Formpalette die Gelegenheit zu einem einzigartigen „optischen Tuning”. Ich habe beobachtet, dass Mitmenschen auf einen bekleideten Hund mehr achten bzw. besser aufpassen. Außerdem können manche Hundegeschirre dazu geeignet sein, unserer Umwelt eine Botschaft zu übermitteln. Das erste, zu diesem Zweck benutzte Geschirr war in Europa die sogenannte „Kenndecke”, diese Bezeichnung ist ein Kompositum, das sich aus den Wörtern „kennen” und „Decke“ zusammensetzt. Das Rezept dafür ist einfach: Man nehme 2 Stück trapezförmig ausgeschnittene PVC-Planen, wende sie an ihren kürzeren Seiten zueinander und runde die vier entferntesten Ecken ab. Der mittlere Teil der ausgeschnittenen Form wird sattelartig auf den Rücken des Hundes gelegt, während die zwei Trapeze zu beiden Seiten des Hundes herunterhängen. Das Produkt wird aus einer auffälligen Farbe, meistens rot oder weiß, angefertigt und auf den Seiten häufig mit der Aufschrift eines Vereins oder auch Polizei bzw. Police bedruckt. Das Geschirr wurde in den 70er und 80er Jahren schon weltweit zu einem Erkennungsmerkmal der Dienst- und Arbeitshunde, obwohl die Ausrüstung zahlreiche praktische und ästhetische Mängel hatte, deshalb waren ihre Einsatzmöglichkeiten auch eingeschränkt. Man begann erst in den letzten 5 Jahren, die aus ergonomischer Sicht viele wichtige Gesichtspunkte außer Acht lassende Form der unter dem Brustkorb des Hundes und vorn verlaufenden Lederbänder und Metallschnallen zu verbessern. Die unangenehm dicken, ungefütterten Lederriemen wurden von Gurten, die sich an den Körper des Hundes schmiegen und von Kunststoffschnallen abgelöst und auch in der Form etwas verändert. All das geschah allerdings spät.
Das Interesse der sich mit Hunden befassenden Elite in Europa, der namhaftesten Ausbilder, der Polizei- und Rettungstruppen wandte sich ab der Jahrtausendwende langsam einem neuen Produkt, einem neuen Hundegeschirr zu, das in Ungarn entwickelt wurde und dessen Bekanntheit sich weltweit wie ein Lauffeuer verbreitete. Nach drei Jahrzehnten war das die erste Ausrüstung in der „Welt der Hunde”, die sowohl im Hinblick auf den Sport als auch auf die Mode die Nutzer und die die Ausrüstung herstellenden Unternehmen in Begeisterung versetzte. Bei der Produktentwicklung war die vollkommene Harmonisierung mit der Natur, mit der Bewegung der Hunde das Ziel. Welches Tier hätte der Auswahl der Form besser als Grundlage dienen können als der Wolf? Der Einfachheit halber sollte ein Hund, der dem europäischen Wolf in seinen Körperabmessungen gleicht, als Modell genommen und eine Proportionalitätsregel beachtet werden, die in der Natur den Aufbau und die Proportionen jedes lebenden Organismus bestimmt: der goldene Schnitt. Die so bestimmten Abmessungen des Sattelteils des Geschirrs, des Verhältnisses der Seiten und des Mittelteils zueinander führten bei dem Studium des im Geschirr laufenden Hundes zu einem überzeugenden Ergebnis. Trotz dem auffälligen Maß passt sich das Geschirr vollkommen dem Körper des Hundes an. Danach folgte die Ausarbeitung zahlreicher ergänzender Teile. Ein bequemer, ohne Kunststoff- oder Metallbestandteile einzustellender Brustgurt mit Klettverschluss, ein versteifter, schließbarer Haltegriff, gut sichtbare Elemente sowie ein Lampenhalter und eine mit Klettverschluss auf der Seite des Geschirrs zu befestigende und dadurch variable Aufschrift. Eine schwierige Aufgabe war auch die Entwicklung der entsprechenden Größenskala für die Hunde, die über sehr verschiedene Körperabmessungen und von der Natur abweichende Proportionen verfügen.
Obwohl den ungarischen Experten bei der Entwicklung und dem Testen des Produkts eine wichtige Aufgabe zufiel, war es nicht verwunderlich, dass es dem Hundegeschirr erging wie dem Schicksal vieler anderer ungarischer Erfindungen, auf seine Marktfähigkeit und die praktischen Vorteile wurde nicht die Elite des ungarischen Hundesports aufmerksam, als erste setzten das Wiener Polizeihunde-Ausbildungszentrum (BPD Wien-Strebersdorf), das österreichische Innenministerium und das Bad Kreuzener Ausbildungszentrum (BAZ) sowie einer der namhaftesten Standorte für die Ausbildung von Militärhunden, das MilHuZ (Militärhundezentrum Kaisersteinbruch), das Produkt bei ihren Einheiten ein. Es folgte eine Reihe von Produktpräsentationen in Europa. Der auf Anfrage des Bayrischen Einsatzkommandos gehaltene Vortrag ebnete auch in Deutschland den direkten Weg zum Erfolg. Die dank internationaler Zusammenkünfte in den Ausbildungszentren ab 2003 unter der Bezeichnung K9-Powergeschirr bekannt gewordene Ausrüstung gelangte bis in die entferntesten Ecken der Welt. Zu dieser Zeit tauchten auch die ersten, mit Klettverschluss auswechselbaren witzigen Aufschriften auf, die einen einzigartigen Modetrend einleiteten. Mir persönlich ist das Hundegeschirr in erster Linie deshalb lieb, weil es praktisch ist. Es kann leicht angelegt werden, indem man es über den Kopf des Hundes zieht. Am Griff gehalten kann ich auch meinem alten Hund helfen, im Verkehr sicher laufen zu können, doch ich muss gestehen, es tut gut, wenn er mit dem angelegten Geschirr regelmäßig für einen Rettungs- oder Polizeihund gehalten wird, mindestens jedoch für einen Kriegsveteranen. Ich glaube, zwischenzeitlich identifiziert sich auch mein Hund mit dieser Rolle. Jedenfalls bewegt er sich, als ob er sich über die zusätzlichen, Veteranen zustehenden Rechte im Klaren wäre…
Sebő Gyula